MARIJKE

Bonjour Liberté

Frech, sinnlich und hochaktuell. Das ist „Bonjour Liberté“ von Marijke Jährling. Auf ihrem neuen Album stellt die deutsch-niederländische Sängerin die beiden wohl berühmtesten „Kurts“ der Weimarer Kulturszene in den Mittelpunkt. Auf der einen Seite den Schriftsteller Kurt Tucholsky, bekennender Rotweintrinker und Frauenversteher. Auf der anderen Seite den genialen Komponisten Kurt Weill. Beide haben ein umfangreiches Werk hinterlassen, das schon viele Künstler inspiriert hat. Marijke präsentiert mit „Bonjour Liberté“ jedoch eine Premiere. Sie hat nicht nur eigene Neuvertonungen von Texten Tucholskys mit Liedern von Kurt Weill kombiniert, sondern sämtliche Texte zudem ins Französische übersetzt. „Obwohl sich die Beiden dort nie direkt begegnet sind, spielte Paris für Beide eine wichtige Rolle. Als Sehnsuchts- und Zufluchtsort vor den Zumutungen ihrer Epoche“, erklärt Marijke mit Blick auf die Flucht vor den Nationalsozialisten, die beide jüdischen Künstler gezwungen waren anzutreten.

Mit dieser geografischen Verlagerung in die Seine-Metropole findet Marijke bei ihrer Spurensuche ganz neue, überraschende Zugänge zu den beiden prominenten Vertretern der Weimarer Zeit. „Dank ihrer innewohnenden Musikalität ist es mir sehr leichtgefallen, die Tucholsky-Texte ins Französische zu übersetzen. Das war für mich ein Beleg, wie sehr er Paris geliebt haben muss“, erklärt Marijke und verweist auf das „Kurt Tucholsky Chanson-Buch“ (erschienen 1983), in dem es heißt: „Tucholskys Texte sind aus französischem und berlinischem Geist geboren.“

Stadt – Liebe – Prostitution und Politik. Das sind die Themen der Texte, die Marijke für ihr Album ausgewählt hat - jeweils aus der Perspektive von Tucholsky und Weill. Gleich das Intro des Openers „C’est la vie“ („Ideal und Wirklichkeit“) - mit den Anfangstakten der Marseillaise – kommt mit viel Pomp und einer großen Idee daher, die Tucholsky schon wenige Zeilen später wie eine Seifenblase zerplatzen lässt. Zitat: „Man möchte immer eine große Lange – und bekommt `ne kleine Dicke – C’est la vie.“ Ein typischer Tucholsky, der stets auf der Suche nach amourösen Abenteuern war, gleichzeitig das Mittel der Selbstironie und der süffisanten Untertöne wie kaum ein Anderer beherrschte. So wie in „L’Épouse Épuisée“ („Die arme Frau“), in dem er sich - in der Rolle seiner Ehefrau - über den selbsternannten Casanova beklagt, der in Wirklichkeit „faul, fett und gefräßig“ sei.

Musikalisch stecken die Arrangements von Christoph Schöpsdau, Peter Gotthard und Marijke voller Liebe zum Detail. Mal stimmt das Akkordeon (Almut Schwab) zarte Musette-Klänge an, mal verführt das Klavier zum Tango („Youkali“), die Gitarre zum Flamenco und Bolero, während diverse Blasinstrumente zwischen verschiedenen Stimmungen changieren. So illustriert Steph Winzen auf der Bassklarinette zum Beispiel das Wechselbad der Gefühle, das die Protagonisten in „Il pleut“ („Es regnet“) durchleben. „Wie soll man mit dem Partner reden, wenn er gerade zurückkehrt und man weiß, dass er untreu war? Da bleibt am Ende nur ein Blick aus dem Fenster auf das stumme Weinen des Regens“, fasst Marijke die Stimmung der Ballade von Kurt Weill zusammen.

Einen Bogen in die Gegenwart schlägt sie mit der Vertonung des Tucholsky-Gedichts „Embrasse las fascistes“ („Küsst die Faschisten“). „Zwar haben die Franzosen nie direkte Erfahrungen mit einer faschistischen Regierung gemacht. Faschistoides Reinheitsdenken greift aber im Zeitalter von Internet und sozialen Medien überall zunehmend um sich. Auch die Corona-Pandemie hat unsere Freiheit gravierend eingeschränkt. Besonders erschrocken war ich, wie schnell die Grenzen zwischen den Ländern geschlossen waren und dadurch ein direkter, persönlicher Austausch zwischen Menschen anderer Kulturen von jetzt auf gleich unmöglich wurde“, blickt Marijke mit Sorge auf die vergangenen eineinhalb Jahre zurück.

Das Ende ihres Albums hat sie Samuel Paty gewidmet. Der Lehrer für Geografie und Geschichte wurde im Herbst 2020 in Paris von einem Islamisten auf grausame Weise umgebracht, da er im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. Paty ist das einzige instrumentale Stück auf dem Album. Eine kurze, gefühlvolle Ballade, „weil es Dinge gibt, die man mit Worten nicht ausdrücken kann. Diese grausame, durch ein intolerantes und verengtes Weltbild ausgelöste Tat hat mich sehr geschockt und entsetzt mich bis heute“, so die Sängerin. Und so ist „Bonjour Liberté“ ein in jeder Hinsicht berührendes Album. Es lädt zum Swingen und Träumen ein und weckt mit mal heiteren, mal melancholischem Ton Sehnsucht nach Freiheit und Lebenslust. Mit einer Stimme, die unter die Haut geht!